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Von der Arbeit der Wanloer Bevölkerung im 19.Jahrrundert

Wechselhaft sind fast alle geschichtliche Zeiten und mit diesen auch die Arbeit des Menschen, seine "Beschäftigung" oder die Art, sich den Lebensunterhalt zu besorgen.
So betrieben die Einwohner Wanlo's in früheren Zeiten in der Hauptsache Landwirtschaft. Und mit dieser Landwirtschaft lebten, dann wieder andere Berufe wie Schmiede und Müller. So wies Wanlo eine Reihe von Wassermühlen aber auch zwei Windmühlen auf. Das Wasser der Niers wurde genutzt, um die Mühlenräder zu drehen. Es gab die Wiertz-, die Caspers-, die Siemons- und die Kappelsmühle (in einer anderen Aufzeichnung heißen sie Wildenraths - Wassermühle, Voigts - Oelmühle, Brands - Mühle und Cappels - Hofmühle). So "schlug", so hieß es damals, eine Mühle auch Öl und zwar aus dem im Wanloer Feld gezogenen Raps- und Leinsamen.
Im Osten, - nach Hochneukirch hin und im Westen am Feldweg nach Venrath standen zwei Windmühlen. Die Mühle östlich von Wanlo war eine"Bockmühle"; d.h. der obere Teil der Mühle stand auf einem hölzernen Gestell - einem "Bock". Dieses Oberteil konnte mit einem "Stäätz" oder auch "Stertz" genannt (Schwanz), einem langen Holzgestell, das mit dem Mühlengehäuse verbunden war, auf dem Bock gedreht werden, so daß die Flügel der Mühle immer in die richtige Windrichtung gestellt werden konnten.
Im übrigen heißt es in der Geschichte Wanlo's, daß ein strebsamer Wanloer Burger die erste Wasserturbine (auch Wassersparer genannt) im Rheinland gebaut hat. Sein Name wird mit Esser angegeben und die Turbine war bei der Caspers - Mühle . Das Grab dieses Mannes war noch lange Zeit neben der Kirche zu sehen.

Die letzte Windmühle stand am Hochneukirchener Weg. Mit dieser war ohne Zweifel ein "Original" verbunden: Urban. Er holte mit der Mühlkarre das Getreide zum Mahlen ab und brachte das Mehl zurück. Bekannt ist vor allem, daß das Pferd am "Hahm" (Kummet) Schellen trug, so daß man Urban und sein Gefährt schon von weitem hören konnte. In der Karwoche aber blieben die "Schellen" stumm, das heißt, Urban hatte sie abgenommen. Nichts sollte die Ruhe der Kartage stören.

Doch trotz des reichen Segens von den fruchtbaren Feldern gab es auch schlimme Zeiten. Es wird sogar eine große Hungersnot erwähnt, die 1816 hier geherrscht hat. 1817 wurde ein zwölfpfündiges Roggenbrot mit einem Reichstaler bezahlt, ein hoher Preis in der damaligen Zeit.

Kaum aber war diese Plage vorüber als auch schon wieder eine neue folgte. 1822 haben die Mäuse in den Feldern der Bürgermeisterei Wanlo gemäß einer damaligen speziellen und genauen Aufnahme einen Schaden von 12 000 Talern angerichtet.

Neben der Landwirtschaft war damals hier in Wanlo die Leinenweberei das erträglichste Gewerbe. Leinen wird aus Flachs gewonnen. In vielen Häusern standen Webstühle, die den Flachs meist selbst bearbeiteten und auf Handspinnrädern gesponnenen Flachs verarbeiteten. Bis es zum Verspinnen und Verweben kam, waren vielerlei Arbeiten nötig. Der braune Flachs- oder Leinsamen wird Ende April gesät. Bald findet sich auch das Unkraut ein, das sorgfältig ausgejätet werden muß. Der glatte runde Stengel der Flachspflanze wird bis zu einem Meter hoch. Am oberen Ende trägt er Ästchen mit himmelblauen Blüten. Nach der Blütezeit entwickelt sich eine erbsengroße zehnfächerige Kapsel mit zehn Samenkammern. Aus diesen wird das Leinöl gepreßt, das zum Anstreichen und Malen benutzt wird, ja sogar als Heilmittel dient. Die Abfälle beim Ölschlagen werden zu Kuchen geformt und als Zugabe beim Viehfutter verwandt.

Der Flachs wird am nützlichsten durch seine Stengel mit den langen Fasern. Diese liefern den Stoff zu Leinwand und vielen anderen Geweben. Doch sind hierzu mancherlei Arbeiten nötig. Nach der Reife, die gegen Ende Juli eintritt, werden die Flachsstengel ausgerupft, in Büdel gebunden und zum Trocknen aufgestellt. Danach wird der Flachs in die Scheune gebracht; dort werden die Samenkapseln von den Stengeln abgestreift indem man die Flachsbündel durch einen eisernen Kamm zieht. Danach beginnt die Tauröste. Die Stengel werden in langen Reihen auf Wiesen, Stoppelfelder oder sogar in flache Gruben in der Nahe der feuchten Flußaue gelegt. Durch den Wechsel von Feuchtigkeit und Trockenheit faulen die holzigen Teile des Stengels, und die Fasen lösen sich ab. Nach drei bis vier Wochen sind die Stengel geröstet. Nun werden die Stengel zur Brechgrube gebracht und über einem kleinen Feuer gedörrt; jetzt werden die Fasern mit der Handbreche und den Schwingstock von den Holzteilen getrennt. Durch das Hecheln scheiden sich die rauheren und kurzen von den längeren und feineren Fasern. Die rauheren heißen Werg; sie dienen zur Bereitung der gröberen Leinwand. Die feinen nennt man Haar; aus diesem werden die feinen Stoffe gewebt. Nunmehr kann der Flachs gesponnen werden.

Das Spinnen war eine Beschäftigung für die langen Winterabende. Um Holz und Licht zu sparen, versammelten sich die Frauen und Madchen benachbarter Hauser in der sogenannten Spinnstube, jeden Abend in einer anderen, bis alle an der Reihe gewesen waren. Bei Anbruch der Dunkelheit kamen sie mit dem Spinnrad und einem Bündel Flachs. Im Kreis sitzend, spannen sie um die Wette. Erzählungen und Sagen, Rätsel, Sprüche und Lieder verkürzten die Arbeit. Auch die Großmutter war in der Spinnstube; sie erzahlte am schönsten, wußte sie doch viel Ernstes und such Heiteres aus ihrer Jugendzeit. Die jüngeren Kinder des Hauses mußten das Garn von den Spulen abhaspeln. Sobald eine gewisse Anzahl von Strängen erreicht war, wurden diese gesammelt, gewaschen, getrocknet und für den Webstuhl vorbereitet.

Wenn das Leinen vom Webstuhl kam, hatte es eine aschgraue Farbe; deshalb mußte es gebleicht werden. Aus Holzasche, Soda und schwarzer Seife wurde eine Lauge bereitet, darin wurde es gekocht und dann an sonnigen Tagen im Frühjahr oder Vorsommer auf dem Rasen ausgebreitet und fleißig mit Wasser begossen. War das Leinen fünf- bis sechsmal den Einwirkungen der scharfen Lauge und der Sonnenstrahlen ausgesetzt gewesen, so erlangte es allmählich eine glänzend weiße Farbe.

Der Flachs erforderte viel Arbeit ehe er zum Gebrauch verwendet werden konnte. Dafür hatte aber auch die selbstgefertigte Leinwand einen bleibenden Wert, so daß es im Volksmund hieß: "Viel Leinen ist ein heimlicher Reichtum".

Ja, jede Hausfrau war stolz auf ihren "Reichtum". Da gab es viele Dutzend Leinentücher, Kissenbezüge, Hemden, Hand- und Tischtücher, Kaffeedecken in einfachem und Gebild - Leinen und noch manche Rolle unverarbeiteter Leinwand. An manche Stücke knüpften sich Erinnerungen: Jene Leintücher hatte die Großmutter noch gesponnen und diese Hemden hatte sic selbst genäht. Damals galt ein alter Spruch:
"Selbst gewonnen, selbst gesponnen,
selbst gemacht, ist beste Bauerntracht."

Die Einfuhr der Baumwolle machte der Leinenherstellung langsam den Garaus. Nach 1860 ging der Flachsanbau zurück; denn das noch blühende Hausgewerbe nahm nun das Samt- und Seidenweben auf. Es machte insbesonders nach 1870 glänzende Geschäfte. Aber die Erfindung der Dampfmaschine und der Elektizität machten den idealen Hausberufen nun endgültig ein Ende. Überall taten sich in der Umgebung Fabriken auf. Da konnte der Handarbeiter nicht mehr mithalten. Die Hauswebstühle verwaisten und verstaubten; immer mehr Männer fanden lohnendere Arbeit in den wie Pilze aus der Erde schießenden Fabriken. Auch in Wanlo hielt der Arbeiterstand seinen Einzug. Wanlo war kein bäuerlicher Ort mehr. Ein großer Teil der Bewohner war Arbeiter, Arbeiter, die morgens in entfernte Orte zur Fabrik gingen und erst abends zurückkehrten. Eine gewaltige Umschichtung !

Den letzten Webstuhl konnte man noch etwa um 1925 klappern hören.

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