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Volkstrauertag 13.11.2011



 
 
 
Zum diesjährigen Volkstrauertag wurde von Herrn Reinhod Giesen die Gedenkansprache vorgetragen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
"weil die Toten schweigen, beginnt immer wieder alles von vorn", schrieb der französische Philosoph Gabriel Marcel. Damit die Toten nicht schweigen, damit wir ihre Stimme hören, begehen wir alljährlich den Volkstrauertag.

Wir gedenken all der Menschen, die im 20. Jahrhundert durch Krieg und Vertreibung, durch Gewalt und Gewaltherrschaft ihr Leben lassen mussten. Und wir gedenken derer, die wegen ihrer Überzeugung, Religion oder Rasse verfolgt, geschunden und ermordet wurden.
Wir gedenken des unermesslichen Leids, das Menschen über Menschen gebracht haben - und noch immer bringen, tagtäglich, in vielen Regionen der Erde.
"Wir gedenken" - das sagen wir heute, 65 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, eher leichthin.
Aber: Denken wir auch daran - was Heinrich Böll einmal einforderte - ,
"wie die Einzelnen gestorben sind, unter welchen Umständen, unter welchen Schmerzen, Flüchen, Gebeten und Schreien?" Und denken wir auch daran, dass neben uns noch immer viele Opfer von Krieg und Gewalt leben? Dass viele Menschen noch heute still leiden, weil sie Angehörige und Freunde verloren haben oder weil sie gefoltert und vertrieben wurden? Und ich spreche hier nicht nur von den Senioren, die den Zweiten Weltkrieg als Kinder oder Jugendliche miterlebt haben, die Vater oder Mutter, Freunde und Verwandte an der Front oder bei Bombenangriffen über deutschen Städten verloren haben, die in Kriegsgefangenschaft gerieten, die ihre Kindheit in Luftschutzbunkern verbrachten oder flüchten mussten. Ich spreche auch von den Flüchtlingen aus Kriegs- und Krisengebieten der heutigen Zeit, die bei uns leben, um endlich einmal Ruhe zu haben:
Nachts schlafen ohne die Angst, dass einem das Dach über dem Kopf weggeschossen wird.
Über die Straßen gehen, ohne sich vor Heckenschützen und Autobomben zu fürchten.
Nach Hause kommen, und alle sind noch da, gesund und am Leben.
Das kennen wir Jüngeren hier alle nicht. Solche Gefühle und Wünsche kommen in unserem Leben gar nicht vor!
Deswegen kann es gar keine Frage sein, ob wir einen Volkstrauertag brauchen!
Viele meinen ja: Volkstrauertag - das ist gestern, das ist nur Ritual, Pathos, Alibi. Sicher, die Gefahr dafür ist gegeben, und sie ist umso größer, je mehr die Erinnerungen verblassen:
Weil wir selbstgefällig und satt geworden sind, weil wir vergessen haben, zu trauern, zu erinnern, nachzudenken. Die Fähigkeit zu trauern ist ein Teil der Menschenwürde. Denn das Gedenken ist nicht nur eine Erinnerung an die Toten, an das Verlorene und Zerstörte, es ist auch Mitgefühl und Verbundenheit mit den Hinterbliebenen. Und es gemahnt an unseren Auftrag für Gegenwart und Zukunft - es ermahnt uns!

Eben deswegen brauchen wir diesen Tag: als Stachel im Fleisch unserer Vergesslichkeit, als Aufschrei dagegen, dass auch heute viele Menschen leiden unter Krieg und Vertreibung, Mord und Folter, Gewalt und Terror.
Und es trifft in erster Linie immer Unschuldige: Frauen und Kinder, Alte und Schwache.
Der Volkstrauertag ist also nicht nur ein Tag der Toten, sondern auch der Lebenden. Er bringt uns zum Nachdenken: wie war - wie ist das alles möglich? Wie war und ist es möglich, dass so viele Unmenschlichkeiten in unserer vermeintlich so fortschrittlichen Zeit geschehen konnten und geschehen? Und gerade deshalb geht der Volkstrauertag auch die Jüngeren unter uns an.
Der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker formulierte es so: "Die Jungen sind nicht verantwortlich für das, was damals geschah. Aber sie sind verantwortlich für das, was in der Geschichte daraus wird."

Die Gräber und Gedenkstätten der Opfer von Krieg, Gewalt und Terror sind nicht nur Mahnmale. Sie sind vor allem Orte, die den Toten eine Stimme geben, wo diese uns sagen, was sie gesehen, erlebt, erlitten haben - und welchen Auftrag sie uns heute erteilen.

Ihr Vermächtnis heißt: Frieden! Frieden und Achtung vor dem Leben! Zieht aus dem Geschehenen die richtige Lehre!
Wir müssen alles uns Mögliche tun, damit wir und unsere Kinder nie wieder in solche Situationen kommen. Wir tragen die Verantwortung dafür, dass aus der trauernden Erinnerung die Entschlossenheit wächst - und das persönliche Engagement, den Frieden in uns selber, in unserem Land, in Europa und in der ganzen Welt zu bewahren und zu sichern. Dieses Engagement ist es , das heute den Einsätzen unserer Soldaten für die Völkergemeinschaft Sinn verleiht: nämlich Krieg und Terror zu beenden, den äußeren Frieden zu sichern.

Unsere erste Aufgabe freilich gilt dem inneren Frieden: in uns, in unserer Gesellschaft, in unserem Land. Eine Gesellschaft, die den inneren Frieden nicht bewirken und nicht sichern kann, ist zum Frieden in der Welt schlecht gerüstet. Wir wissen auch, dass Unfrieden und Gewalt vielgestaltig sind - und dass wir oft gar nicht so genau hinsehen.
Im Grunde bleiben Frieden und Freiheit immer ein Wagnis. Sie müssen täglich neu errungen werden. Der Philosoph Karl Jaspers hat das einmal folgendermaßen ausgedrückt: "Die Gewohnheit der täglich gegebenen Freiheit verführt zur Passivität. Das Bewusstsein der Gefahr schläft ein."
Denken wir nur an die Gewalt gegen Natur und Kreatur, an die Gewalt auf unseren Straßen, an die Gewalt gegen Frauen und Kinder, an die Intoleranz gegenüber Andersdenkenden oder Fremden oder an die Gewaltsamkeit in unseren politischen Auseinandersetzungen usw.!
Gegen die Gefährdungen unseres inneren Friedens können und müssen wir alle etwas tun.
Deshalb bleibt der Volkstrauertag eine stete Mahnung und Herausforderung: Halten wir das Andenken der Opfer in Ehren!
Hören wir auf Ihr Vermächtnis!
Üben wir Frieden, im Gespräch wie im Umgang! Versuchen wir, einander zu verstehen in Toleranz und Geduld !

Ich wünsche uns, dass der Volkstrauertag zu einem Volksfriedenstag wird.

Danke, dass Sie zugehört haben.
 
Auch in diesem Jahr übernahm die Freiwillige Feuerwehr Wanlo die Kranzniederlegung.
 
Für feierliche Musik sorgten vier junge Musiker, die Abschlußworte sprach Herr Rainer Krix.
Seit gestern (12.11.11) gibt es noch ein weiteres Zeichen der Erinnerung in Wanlo.
Einen Stolperstein.
Er wurde gestern Vormittag von Gunter Demnig gesetzt.
Aus dem Haus Plattenstrasse 59, wurde 1942 Frau Henriette Zander im Alter von 78 Jahren deportiert.
Sie ist am 2.04.1943 in Theresienstadt gestorben.
Ihr und allen anderen wollen wir in einer Minute des Schweigens gedenken.
 
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